Pilotbetrieb Grotter und Strauß
LandwirtSCHAFFT - Individualsozialpädagogische Einzelmaßnahmen für "Systemsprengende"

LANDKREIS: Eichstätt
REGIERUNGSBEZIRK: Oberbayern
MAIL-KONTAKT:
sozialelandwirtschaft@aol.com
DATEN UND FAKTEN
BETRIEBSFORM: Konventionell
WIRTSCHAFTSWEISE: Vollerwerb
ARBEITSKRÄFTE: 2 AK
BETRIEBSZWEIGE: Milchviehhaltung, Ackerbau, Forstwirtschaft, Photovoltaikanlage
ACKERBAU: Winterweizen, Wintergerste, Sommergerste, Winterraps, Silomais, Klee/Luzerne
Ein Hof mit Geschichte – und einer Zukunftsvision
Der Milchviehbetrieb der Familie Grotter liegt im oberbayerischen Landkreis Eichstätt und ist seit 1880 in Familienbesitz. Heute wird der Betrieb mit Ackerbau, Grünland und Forstwirtschaft von Hofnachfolger Tobias Grotter gemeinsam mit seinen Eltern geführt. Der 1997 modernisierte Laufstall beherbergt rund 43 Milchkühe plus Nachzucht. Die betrieblichen Schwerpunkte liegen neben der Milchviehhaltung im Ackerbau, in der Forstwirtschaft sowie in der Nutzung erneuerbarer Energien über eine Photovoltaikanlage.
Gemeinsam mit seiner Partnerin Sabrina Strauß plant Tobias Grotter nun einen innovativen Schritt in die Zukunft: Die Verbindung von Landwirtschaft mit Individualsozialpädagogischen Einzelmaßnahmen – ein bundesweit einzigartiges Vorhaben, das über die klassische Landwirtschaft hinausreicht.
Ein gemeinsamer Weg – Landwirtschaft und Soziale Arbeit
Sabrina Strauß bringt neben ihrem sozialpädagogischen Fachwissen langjährige Erfahrung in der Betreuung sogenannter „Systemsprenger“ mit – Kinder und Jugendliche, die aufgrund schwieriger Biografien und zahlreicher Maßnahmeabbrüche im Jugendhilfesystem oft keinen Halt mehr finden.
„Als ‚SystemhinterfragerInnen‘ fordern die Kinder und Jugendlichen durch ihr Verhalten etablierte pädagogische und gesellschaftliche Konzepte heraus und machen dadurch sichtbar, wo bestehende Strukturen nicht mehr greifen.“ – Sabrina Strauß
Die Idee, diese jungen Menschen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zu integrieren, entstand während Sabrinas Aufenthalten im Ausland. Dort lernte sie in funktionierenden Projekten, wie tägliche Routinen, verlässliche Bezugspersonen und sinnstiftende Aufgaben, insbesondere in der Landwirtschaft, Jugendlichen Stabilität und neue Orientierung geben können.
Dieses Modell übertrugen Tobias und Sabrina auf ihren Hof. In den vergangenen sieben Jahren haben die beiden bereits erste Maßnahmen mit nachweisbarem Erfolg umgesetzt. Immer wieder waren Kinder und Jugendliche tageweise aus stationären und ambulanten Jugendhilfemaßnahmen vor Ort. Die betreuten jungen Menschen konnten dabei Alltagsstrukturen aufbauen, in weiterführende Jugendhilfemaßnahmen eingegliedert werden und neue Perspektiven für ihr Leben entwickeln. Die besondere Wirksamkeit liegt für Sabrina in der Verbindung von Landwirtschaft, Tierkontakt, Naturerleben und sinnhaften Tätigkeiten im Hofalltag. Die beiden sind überzeugt: Stabilität, Selbstwirksamkeit und Sozialkompetenz werden durch feste Tagesstrukturen, verlässliche Beziehungen und echte Aufgaben im Jahresverlauf gefördert. Zusammen wollen sie ein pädagogisch tragfähiges Umfeld schaffen, das Halt, Orientierung und Entwicklungschancen in herausfordernden Lebenssituationen bietet.
„Unser Ziel ist nicht die schnelle Lösung, sondern echte Veränderung. Und dafür braucht es Zeit und einen Ort, der mitwächst und Vertrauen schafft." - Sabrina Strauß
Diese wertvollen Erfahrungen bilden die Grundlage für den geplanten Einstieg von Sabrina Strauß in den Betrieb mit einem zukunftsweisenden Konzept, das Soziale Arbeit in den Alltag eines aktiven landwirtschaftlichen Betriebs integriert.
Individualsozialpädagogische Einzelmaßnahmen auf dem Bauernhof – ein sicherer Ort für Jugendliche, die „rausfallen“
Mit dem Projekt LandwirtSCHAFFT soll ein stationäres Angebot entstehen, das Jugendlichen mit hohem Unterstützungsbedarf einen stabilen, strukturierten Lebensraum bietet – eingebettet in die Tagesroutinen und Kreisläufe der Landwirtschaft. Es richtet sich an Kinder und Jugendliche, die einen Anspruch auf Individualsozialpädagogische Einzelmaßnahmen haben. Diese Maßnahmen sind im Sozialgesetzbuch (SGB VIII) definiert und geregelt.
Das Besondere: Die Jugendlichen wohnen auf dem Hof, werden in den Alltag eingebunden und erhalten eine 1:1-Betreuung durch eine Fachkraft. Durch feste Bezugspersonen und das Erleben von Verantwortung innerhalb eines funktionierenden Betriebs erhalten sie neue Entwicklungsmöglichkeiten. Die Landwirtschaft mit ihren zyklischen Abläufen, ihrer Aufgabenvielfalt und ihren klaren Strukturen wirkt dabei als pädagogischer Raum.
„Landwirtschaft ermöglicht ganzheitliches Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Die jungen Menschen lernen bei uns Selbstwirksamkeit und den Umgang mit Verantwortung in einem geschützten pädagogischen Raum.“ – Sabrina Strauß
Ein neues Zuhause – auch für Sabrina Strauß im Beruf
Mit der Umsetzung des Projekts möchte Sabrina Strauß nicht nur ihr berufliches Potenzial voll einbringen, sondern sich langfristig eine tragfähige, selbstbestimmte berufliche Perspektive auf dem Hof schaffen. Dafür soll ein eigenständiger sozialer Betriebszweig entstehen, organisatorisch als gGmbH angebunden, fachlich eingebettet in die Landwirtschaft und finanziert durch öffentliche Mittel (Bezirk Oberbayern, Jugendämter, Kommunen) sowie zusätzliche Förderungen und Fundraising.
Gemeinsam mit Tobias Grotter arbeitet sie derzeit daran, den Betrieb strukturell und wirtschaftlich auf diese Entwicklung vorzubereiten. Auch ein Stallneubau und ein Ausbau von Wohn- und Sozialräumen für die Betreuung ist in Planung, sodass beide Betriebszweige – Landwirtschaft und Soziale Arbeit – gleichberechtigt koexistieren und sich gegenseitig stärken können. Aktuell absolviert Sabrina Strauß das Seminar zur „Betriebszweigentwicklung: Soziale Landwirtschaft“ und beteiligt sich an der Evaluation eines Handlungsleitfadens zur Motivationsförderung von Jugendlichen in stationären Jugendhilfemaßnahmen.
Mehr Informationen zum Seminar "Betriebszweigentwicklung: Soziale Landwirtschaft" finden Sie hier.
"Die Kombination aus Landwirtschaft und Sozialer Arbeit sehe ich als echte Chance, Jugendlichen zu helfen, die sonst durch alle Raster fallen.“ - Sabrina Strauß
Der Betrieb befindet sich aktuell in einer intensiven Planungsphase: Es werden verschiedene Optionen sortiert, der Einstieg von Sabrina vorbereitet und Investitionswege geprüft. Die Zusammenführung der beiden so unterschiedlichen Betriebszweige bringt nämlich nicht nur betriebliche und wirtschaftliche Herausforderungen mit sich. Unterschiedliche Vorschriften und Anforderungen aus den Bereichen Bau-, Umwelt- und Sozialrecht müssen berücksichtigt und aufeinander abgestimmt werden und die verschiedenen zuständigen Stellen eingebunden werden.
Gleichzeitig steht die Hofübergabe als erster großer Meilenstein an, der den Weg für die weitere Entwicklung ebnen soll. Wie bei allen Hofübergaben, gilt es neben den rechtlichen und steuerlichen Aspekten die unterschiedlichen Erwartungen und Vorstellungen innerhalb der Familie zu berücksichtigen. Ziel ist es, gemeinsam den landwirtschaftlichen Familienbetrieb zukunftsfähig aufzustellen mit Raum für neue berufliche Rollen, erweiterte soziale Verantwortung und neue Konzepte.
„Für mich ist wichtig, dass die Hofübergabe den Betrieb so aufstellt, dass er langfristig weitergeführt werden kann und sicher aufgestellt ist.“ - Tobias Grotter
Fundament schaffen für morgen – Netzwerke, Zahlen, Zielgruppen
Im Rahmen des Coachings wurden systematisch verschiedene Entwicklungsoptionen analysiert und bewertet – hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, Lebensqualität, pädagogischem Mehrwert und Zukunftsfähigkeit. Erste Wirtschaftlichkeitsrechnungen sowie mögliche Förderwege wurden geprüft. Zudem lag ein Schwerpunkt auf der Netzwerkanalyse, der Einbindung potenzieller Partner und der konzeptionellen Weiterentwicklung des Vorhabens: Neue Zielgruppen wurden identifiziert und die Leistungsbeschreibung geschärft, um den neuen Betriebszweig fundiert und tragfähig aufzubauen.
Das NEU.LAND. Pilotprojekt "Coaching in der Gründungsphase"
Tobias Grotter und Sabrina Strauß nehmen am NEU.LAND. Pilotprojekt „Coaching in der Gründungsphase“ teil. Das Projekt hat zum Ziel, landwirtschaftliche Betriebe beim Aufbau neuer, innovativer Betriebszweige durch Gründer-Coaches und Fachexperten zu unterstützen. Dieser Prozess wird von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) wissenschaftlich begleitet, um die Rolle und Bedeutung des Betriebscoachings in der Gründungsphase zu analysieren und zu bewerten.
Neugierig, welche Betriebe noch am Projekt teilnehmen?
Hier geht’s zur Übersichtsseite des Pilotprojekts „Coaching in der Gründungsphase“:
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